Das Schwarze Heide

Das Schwarze Heidi

Sie ist schwarz, links und extrovertiert – und liebt das Appenzeller Land.

Wie Jodeln der Kenianerin Yvonne Apiyo Brändle-Amolo half, in der Schweiz zu überleben.

Webreportage: Mit Apiyo am Appenzeller Schwingfest

TEXT: YAËL DEBELLE
Alle starren sie an. Männer schnalzen, Frauen verstummen, Buben giggeln, Mädchen kichern. Yvonne Apiyo Brändle-Amolo ist schwarz. Das reicht, um am Appenzeller  Kantonalschwingfest in Schwende eine Sensation zu sein.
Aufgewachsen ist sie in Kenia. Zu Hause fühlt sie sich auch im Appenzellischen. Dort hat sie jodeln gelernt, beim Rempfler Josef, noch bevor sie Deutsch konnte. «Jodeln hat mein Schweizer Leben gerettet», sagt sie.
Im Festzelt setzt sie sich an den Biertisch. «Was haben Sie Vegetarisches?» – «Äh, nütz», sagt die Helferin im übergrossen Sponsorenshirt. Dann nehme sie halt Pommes frites. Verstohlene Blicke links und rechts. «Ich mag Schwingfeste einfach. Hier fühle ich mich wohl.»
Sie fand drei Jahre lang keine Freunde «Meine Jodelfreunde nennen mich ‹schwarzes Heidi›», sagt die 40-Jährige. Vor über zehn Jahren hat sie angefangen zu jodeln. Aus Verzweiflung.
Nach drei Jahren in der Schweiz hatte sie noch immer keine Freunde gefunden, sass tagelang daheim, währ ihr Mann Dienst hatte. Die Schweiz kam ihr kalt vor. Brändle-Amolo kommt aus gutem Haus in Kisumu, der Vater ist Ingenieur, die Mutter die erste Automechanikerin im ganzen Land. Sie selber jobbte im Hotel, als Verantwortliche für die Gäste. Unter ihnen war ein Schweizer Polizist. Die beiden verliebten sich und heirateten 2000. Die Ehe lief gut, aber sie fühlte sich in der neuen Heimat isoliert. Nach drei
Jahren Einsamkeit war da die Frage: «Was mache ich hier eigentlich?» Doch sie sei stur, aufgeben nicht ihr Ding.
«Ich musste einen Draht finden.» Sie fand ihn über das Singen. Sie googelte «Swiss traditional singing»,
landete beim Jodeln und schrieb an die erste vorgeschlagene Adresse:
«I am a Kenyan woman, I would like to learn Yodel.» («Ich bin eine kenianische Frau und möchte jodeln lernen.»)
Josef Rempfler vom Volksmusiktrio Appenzeller Echo schrieb noch am gleichen Tag zurück. Sie solle am
Samstag vorbeikommen. Es warteten 20 Menschen auf sie.
Alle wollten sie kennenlernen, fragten viel. Zum ersten Mal fühlte sich Brändle-Amolo in der Schweiz willkommen. Und so ging es weiter. Bei ihrem ersten Auftritt sei der ganze
Saal aufgestanden, habe mitgejodelt und geklatscht. «Man muss nur den Schlüssel finden. Die Schweizer haben
ein warmes Herz.»
Vor dem Festzelt läuft ein patriotischer Film, nur real. Zwei Männer mit ausladenden Bäuchen und langen Alphörnern, zwischen ihnen eine ältere Frau in Tracht. Sie blasen auf der sattgrünen Wiese, neben ihnen wirbeln zwei Burschen Schweizer Fahnen in die Luft. Brändle-Amolos heller Afro
leuchtet in der Sonne.
«Du gfallsch mer ohuere» Für das Eidgenössische Jodlerfest vor zwei Jahren hat sie ihre Haare noch geglättet. «Heute denke ich: wennschon, dennschon.» Sie falle sowieso immer auf, und die Leute sähen in ihr immer die Afrikanerin, egal, was sie mache. Heute trägt sie eine kurze, schwarze Tracht im Dirndlstil, selbstgenäht. Gestickte rosa Blümchen zieren den Saum, weisse Spitze umgarnt ihr Décolleté. Die Füsse stecken in hohen Stiefeletten.
«Siiger, Platz ees: Horner Peter», dröhnt es aus dem Lautsprecher. Der Schwinger zieht sein Edelweisshemd
aus und übergiesst seinen massigen Leib mit Brunnenwasser. Es ist über 30 Grad heiss. Brändle-Amolo zückt ihr Handy und filmt das Geschehen. Da eilt ein junger Mann auf sie zu, strahlend. «Du gfallsch mer ohuere
guet, dar i e Föteli mit der mache?» Er sei der Michael und finde das lässig, wie sie sich kleide und überhaupt, und
das Föteli müsse er unbedingt seinem Bruder zeigen. «Der war süss», sagt Brändle-Amolo.
Michael bleibt nicht der Einzige, der ein Foto von ihr will. Ein deutscher Schwingfan, der von Schwingfest zu
Schwingfest tingelt: «Das ist ja der Wahnsinn. Meine Frau glaubt mir das nicht, wenn ich da nicht ein Bild von
habe.» Zwei Bauern lotsen sie zu den Lebendpreisen, dem Siegermuni Flatteri und dem Rind Bambi. «E Foti mit em Muni, wääsch wie loschdig.»
Gern, kein Problem, sagt Brändle-Amolo, sie müsse aber ihr Gesicht in die Sonne halten: «Sonst sehen Sie nur
Schwarz.» – «Die cha jo Tütsch!», wundert sich eine Frau.
«Wiesoo het die so Chruslä?» «Appenzeller sind direkt, sie sagen, was sie denken. Das gefällt mir.» Damit könne sie besser umgehen als mit politischer Korrektheit. «Die Leute
auf dem Land sind manchmal wie Kinder.» Wenn ein weisses und ein schwarzes Kind zusammen spielten, seien beide einfach nur neugierig, ohne Vorurteile. «Wiesoo het die so Chruslä?», fragt ein Mädchen.
«Chom do abi!», ruft ein Bub. Brändle-Amolo ist auf einen Felsen geklettert, um ein Bild mit Berg panorama zu machen. «Warum?», fragt sie zurück. «Wöl du e Neegerli
bischt!» Sie habe hier nichts zu suchen, sie sei ja keine Schweizerin. «Doch, bin ich», entgegnet sie.
Als sie letztes Jahr in der Nähe von Zürich eine 1.-August-Rede halten sollte, fand sie Hundekot im Briefkasten und Hassmails im Posteingang. Ein Jodlerfreund hatte ihr eine Wohnung im Limmattal vermittelt, nachdem sie monatelang keine bekommen hatte. «Vielleicht wegen meiner Hautfarbe», sagt sie.
«Racial Profiling» lautet der Titel ihrer Masterarbeit, Rassismus bei Behörden. Sie studiert an der Uni Lugano interkulturelle Kommunikation, ihr drittes Studium nach Wirtschaft in Nairobi und San Diego und Videojournalismus in der Schweiz. Sie kenne das Gefühl, als Einzige in einer Gruppe von der Polizei kontrolliert zu
werden. Vor drei Jahren ist sie der SP beigetreten, kandidierte für den Zürcher Kantonsrat und den Nationalrat.
Dass sich in der Jodelszene, in der sie sich so schnell heimisch fühlte, viele Ausländerfeinde und fast nur
SVP-Wähler tummeln, habe sie lange nicht gewusst. Heute weiss sie es. Aber es ändert nichts an ihrer Liebe zum Jodeln. «Das darf mich nicht verrücktmachen.» Irgendwo müsse man ja anfangen. «Wenn jemand mit dir eine
Mahlzeit einnimmt, kann er dich kaum mehr als Feind betrachten», sagt sie. Sie habe sich in einen Schweizer
verliebt, aber erst dank den Jodlern in die Schweiz.
Die Ausbürgerung drohte Nach neun Jahren Ehe hat ihr Mann 2009 die Scheidung eingereicht. Seine Frau sei ihm zu schweizerisch geworden. Der Polizist ist in die Dominikanische Republik ausgewandert. Wenig später hat Brändle-Amolo ein Schreiben der Behörden erhalten, sie müsse ihren Schweizer Pass zurückgeben. Sie werde ausgebürgert, wegen Scheinehe. Sie nahm sich einen Anwalt. Ein Jahr lang kämpfte sie vergebens.
Dann drehte sie einen Kurzfilm. Der Plot: Brändle-Amolo jodelt fröhlich, miin Vatter isch en Appezöller, düoi, düoi, düoido. Dann kippt die Stimmung, sie beginnt zu weinen und verschwindet aus dem Bild, ein Plakat taucht auf – drei weisse Schafe kicken ein schwarzes aus der Schweiz. Der Film heimst an internationalen Festivals Preise ein. Brändle-Amolo schickt ihn ans Migrationsamt, wenig später kommt ein Brief zurück. Sie darf ihren Pass behalten. «Das Jodeln hat mir ein zweites Mal mein Leben in der Schweiz gerettet.